Univ. Prof. Dr. med. habil. Manfred Pohlen

Manfred Pohlen

Schizophrene Psychosen, ein Beitrag zur Strukturlehre des Ichs Verlag Hans Huber, Bern-Stuttgart-Wien (1969)


Dieses Buch ist ein Diskurs zur Strukturlehre des Ichs, eine strukturale Analyse schizophrener Psychosen. Im Exkurs über die Ich-Genese wird der Versuch einer grundlegenden Differenzierung zwischen neurotischer und psychotischer Entwicklung durch die Betrachtung des Ausgangsortes von Trieb- und Ich – Entwicklung gemacht. Die für Schizophrene typische Erfahrung des Weltuntergangs und eines neuen verrückten Weltaufgangs wird als entscheidende Insertionsstelle im strukturalen Konzept der Schizophrenie gesehen. Ein Modell von der intersubjektiven Konstituierung wird als Vollendung der strukturalen Anschauung vorgestellt und in einem klinischen Exkurs die Erfahrensweisen der intersubjektiven Konstituierung im therapeutischen Prozess aufgewiesen.

     

   

 

Manfred Pohlen

Gruppenanalyse

Eine methodenkritische Studie und empirische Untersuchung im klinischen Feld (1972)

 

Die Arbeit "Gruppenanalyse" – eine methodenkritische Studie und empirische Untersuchung im klinischen Feld" ist die erste und grundlegende empirische Studie zur Untersuchung psychoanalytischer Therapieprozesse. Auf der Basis eines methodenkritischen Entwurfes psychotherapeutischer Forschung im klinischen Feld, einer wissenschaftstheoretischen Klärung der Psychoanalyse im Spannungsfeld zwischen Natur- und Geisteswissenschaften, wird dem Wesen des Deutungsvorgangs als hermeneutischer Erfahrung nachgegangen und über die Problematik der Validierung von Deutungen ein Ansatz zum Aufweis einer wissenschaftlich verstehenden Psychologie gefunden. Ein solch ausgearbeitetes Konzept der Untersuchung der Interaktionsmechanismen und Wirkungen war bewusst gegen den palavernden psychotherapeutischen Gruppenmarkt gerichtet und sollte aufweisen, dass nur auf dem Hintergrund ausgearbeiteter, differenzierter Konzepte psychotherapeutisch wirksame Prozesse sich entfalten und empirisch nachweisbar sind. Entscheidend war, dass nicht psychoanalyse-fremde, in der evidenzbasierten Medizin entwickelte Methoden, wie es üblicherweise geschieht, übernommen, sondern Psychoanalyse immanente Methoden entwickelt und zum

     

empirischen Nachweis eingesetzt wurden.

Die Verlaufs- und Ergebnisuntersuchungen zusammen mit dem modellhaft entwickelten therapeutischen Raum („Münchener Kooperationsmodell“) haben erwiesen, dass, vorausgesetzt eine souveräne psychotherapeutische Könnerschaft, eine psychoanalytisch/psychodynamische Therapie mehr als allgemeine, immer konstatierte Wirkungen entfaltet, vielmehr spezifische Wirkungen verursachen kann. Die Gruppenanalyse ist im Ansatz die Ingredienz der im wissenschaftlichen Werk des Autors erarbeiteten Grundlagen zur Wissenschaft und Klinik der Psychoanalyse. Es sollte ein Exempel statuieren gegen den in dieser Zeit einsetzenden opportunistischen Empirismus in der Psychoanalyse, der sie später immer mehr in der Nachäffung einer evidenzbasierten Medizin um der gesellschaftlichen Anerkennung willen verkommen ließ. Die Gruppenanalyse enthält im Grunde all jene Themen, die das Lebenswerk des Autors ausmachen: Die Auseinandersetzung der Psychoanalyse als empirische Wirkungsgeschichte und dem hermeneutischen Modus ihrer Interaktionsform, mit der sie ihre Erkenntnisse gewinnt; beides konstituiert die Grundelemente ihrer Besonderheit als Aufklärungswissenschaft.

 


 

Manfred Pohlen

in Enciclopedia 73 (hrsg. Instituto della Enciclopedia Italiana (1973), Hsrg. Sabatino Moscati), Arbeit und Spiel (S. 221-239)


Mein Beitrag "Arbeit und Spiel" enthält im Allgemeinen die Auseinandersetzung mit dem marxistischen Arbeitsbegriff und im Einzelnen mit der freudschen Triebtheorie und ihrer therapeutischen Anwendung in der sogenannten, von der psychoanalytischen Bürokratie verwalteten Standardanordnung. Dieser Diskurs ist der Bruch mit den tradierten Überzeugungen der herrschenden Psychoanalyse, wie sie von der IPA (International Psychoanalytic Association) und der DPV (Deutsche Psychoanalytische Vereinigung) vertreten wurde und immer noch vertreten wird. Die psychoanalytische Arbeit wird als Spiegelbild der gesellschaftlich entfremdeten Arbeit verstanden und die Anordnung der psychoanalytischen Situation in einer Analytik der Machtbeziehung untersucht: Die Wiederholung der gesellschaftlichen Entfremdung in der psychoanalytischen Arbeit wird als unbewusste Wiederkehr gesellschaftlicher Verhältnisse in der Fiktion von „herrschaftsfreier Kommunikation“ entlarvt. Der Diskurs über die "Dialektik von Arbeit und Spiel", von Hierarchie und Zwang, Enthierarchisierung und Freiheit wird offenbar am Beispiel der autoritären Beziehungsstruktur zwischen Analytiker und Analysand. Diese Aufdeckung wurde zur Bruchstelle des Autors mit dem psychoanalytischen Apparat und seinen Funktionären.

 

     

 

Vom Intrigenspiel des psychoanalytischen Apparates

Konnte man schon diesen Vortrag von "Arbeit und Spiel" bei der Enciclopedia (1973) nicht verhindern, weil die Deutsche Botschaft in Rom zusammen mit dem italienischen Kultusministerium als Veranstalter sich nicht manipulieren ließ, unternahm die orthodoxe französische Fraktion der Psychoanalytischen Vereinigung (IPA) und die deutsche Psychoanalytische Vereinigung bei dem von der Deutschen Botschaft in Paris (1976) veranstalteten internationalen Freud-Kongress alle Anstrengung, die Einladung des Autors zu torpedieren, seinen geplanten Vortrag zu behindern. Darüber gibt es einen eindrucksvollen Briefwechsel mit dem deutschen Kulturattaché, der die militante Einmischung empört zurückwies und sein Unverständnis über das sektiererische, provinzielle und paranoide Verhalten psychoanalytischer Gesellschaften nicht verhehlte. Denn eine Machtanalytik der psychoanalytischen Beziehungen, eine Aufdeckung der Herrschaftsstruktur in der Psychoanalyse und die Offenlegung der intellektuellen Unredlichkeit einer reaktionär benutzten Psychoanalyse  schien für ihren Machtapparat ein Signal zum Umsturz zu sein.

 

Von der Wiederholung

gesellschaftlicher Entfremdung in der psa Anordnung

Es wird nämlich in dieser Arbeit der analsadistische Charakter der Kultur in der Anordnung des psychoanalytischen Verfahrens wiedererkannt und die Psychoanalyse als falsche Praxis begriffen, in der die vergangene autoritäre Abhängigkeit nur durch eine gegenwärtige andere ersetzt wird Die übliche Ausrichtung der Kur wäre demnach nur die Übertragung der gesellschaftlichen Verhältnisse auf die psychoanalytische Situation: die sogenannte Aufarbeitung der vergangenen deformierten Geschichte eine bloße Wiederholung des Immer-desselben-Geschehens, von der Installierung von-Immer-den-gleichen-Abhängigkeiten. In diesem Diskurs wird geklärt, was eine freie Praxis sein könnte, wie eine solche durch eine andere Handhabung des Deutungsprozesses zur Eröffnung eines freiheitlichen Phantasieraums führen könnte; eben dies schien und scheint für die Funktionäre des psychoanalytischen Apparates eine unerträgliche Vorstellung zu sein.

 


 

Manfred Pohlen mit L. Wittmann

"Die Unterwelt bewegen – Versuch über Wahrnehmung und Phantasie in der Psychoanalyse", Autoren- und Verlagsgesellschaft, Frankfurt am Main (Syndikat 1980)


Die großen Aufklärer der Moderne Freud, Marx und Nietzsche haben ihr ganzes Denken und Wahrnehmen unter die Schule des Verdachts gestellt, die Phänomene der menschlichen Lebenswelt auf ihre Unter- und Hintergründe zu untersuchen, um dadurch unbewusste und nicht gewusste Prozesse in der Gesellschaft sichtbar und veränderbar zu machen.

Freud fragt mit seinem „Phantasieschlüssel“ nach den unbewussten Motiven des Handelns und erschließt sie dem menschlichen Bewusstsein. Marx fragt mit seiner ideologiekritischen Methode nach den nicht gewussten oder verleugneten Interessen (cui bono), um die Gründe des gesellschaftlichen Handelns aufzudecken. Nietzsche fragt mit seiner genealogischen Methode perspektivisch nach den Gründen gesellschaftlicher Institutionen und Werthaltungen.

 

Von eigentlicher Psychoanalyse im

Widerspruch zu den psa. Klischées ihrer Verwalter

Diese Arbeit steht in einem inneren Zusammenhang mit dem Artikel:

    

 

„Arbeit und Spiel“, der 1973 auf dem Freud-Kongress in Rom vorgetragen wurde. Dort ging es um eine Machtanalytik in der Beziehung zwischen Analytiker und Analysand, hier geht es um die Phantasie, den „Phantasieschlüssel“ zur Erschließung des Unbewussten, der Phantasie als Wahrnehmungserkenntnis: diese Dimension ist grundlegend für den Verstehensprozess, wird in seiner produktiven Bedeutung dargestellt und strikt unterschieden von ihrer Definition als regressivem Manöver in der traditionellen Psychoanalyse.

Nach den Vorfällen in Rom (siehe Enzyklopädiearbeit) kam es erwartungsgemäß in Paris zu massiven Verhinderungsaktionen von IPA und DPV; allerdings ließ sich der Kulturattaché der deutschen Botschaft in Paris nicht einschüchtern.

Das Podium wurde freilich mit Laplanche und seiner Entourage orthodoxer Analytiker besetzt, die zur Überwachung und Kontrolle delegiert waren. Diese Analytiker verließen schon bei der Einführung des Themas von der Phantasie empört das Podium und liefen unter dem Beifall des gesamten Auditoriums aus dem Saal. So konnte der Autor mit den Teilnehmern das Thema Phantasie, die emanzipatorische Funktion von Phantasie in aller Tiefe und Weite diskutieren. Phantasie als Erkenntnismittel ist wissenschaftlich leitmotivisch für die Arbeiten des Autors, der großen Arbeiten „Eine andere Aufklärung“, „Eine andere Psychodynamik“, zusammengefasst in dem Sammelband: “Sigmund Freud heute“.

 

Der subversive Charakter der Freudschen Psychoanalyse

Die Arbeit „Die Unterwelt bewegen“ bezieht sich auf Freuds: „flectere si nequeo superos, acheronta movebo“; zur Erinnerung: es ist die Einleitung Freuds zur Traumdeutung. Auf Deutsch: wenn ich (schon) die Oberen (die Herrschenden), nicht beugen kann, (dann) werde ich (ihnen) die Unterwelt bewegen. Aber nichts scheint die Nachfahren Freuds mehr zu verunsichern als die Phantasie, das freie Phantasieren als imaginierendes Vorwegnehmen einer möglich anderen Wirklichkeit. Die Grundfrage des Menschlichen liegt darin, warum etwas so ist, wie es ist und wieso es nicht anders sein könnte. Und der progressive Charakter der Phantasie als vorausgreifende Imagination zur Veränderung ist nach E. Bloch eine erkenntnistheoretische Dimension: der denkende Vorgriff auf das Noch – Nicht. Die Arbeit von der Phantasie ist ein Gang durch die Geschichte des Phantasmas vor allem in seinen Abwehrstrategien als Ausflucht und Zuflucht des Wirklichkeitsrückzugs; oder in der unwiderruflichen Perspektive des Wahrheitswertes der Phantasie, ihrer kritischen Funktion, der Weigerung zu vergessen, was sein könnte (Marcuse) liegt das ganze Potential menschlichen Aufbegehrens nach einem anderen Leben. Die Phantasien bergen sozusagen die schlafenden Möglichkeiten des Menschen und ihre Ausgrabung sollte der Sinn einer jeden Psychoanalyse sein, wenn sie nicht affirmierend für die Gesellschaft sich betätigen will. Phantasie wird erkannt als Mittel der Transgression, der Grenzüberschreitung des Gegebenen, der von den Herrschenden festgestellten Wirklichkeit. Das Drängen nach Transgression ist als Begehren dem Menschen eingeschrieben und schlägt sich nieder in seinen Phantasien in Vor- und Urbildern, als Ermöglichungsgrund für ein freies Leben.

 

Vom möglich anderen Leben

So versucht der Diskurs des Autors in den Griff zu nehmen, was der Phantasie an Bedeutung zukommt, welch essentiellen Wert sie für die Einrichtung der menschlichen Lebenswelt hat. Das strukturierende Moment von Phantasie zeigt sich vor allem in der Utopie als visionäre Perspektive einer möglich-anderen Welt, zukünftiger Entwicklungsmöglichkeiten, als Kampf um das „bessere Etwas“ (E. Bloch): Ein Leben ohne Phantasie wäre der Tod, der Mensch hoffnungslos, dem herrschenden Jetzt ausgesetzt. Die Psychoanalyse als Aufklärungswissenschaft ist eine Wissenschaft menschlicher Subjektivität und ist dafür auch in Anspruch zu nehmen, dass sie sich in der Forderung nach aufbegehrendem Leben auch zu bewähren hat, in ihrer Theorie wie in ihrer Praxis und darum handelt auch diese Arbeit über: „Die Unterwelt bewegen“, von der subversiven Kraft des menschlichen Begehrens, dessen Erkenntnis und Beförderung, wenigstens bei Freud, das eigentliche Ziel einer jeden psychoanalytischen, denkerischen wie praktischen Arbeit darstellt. Die Analyse verkörpert in ihrem prospektivem Aspekt bei Freud die Erinnerung an alles „möglich – neue“, an alle verschütteten Potentialitäten des Menschen. Freud hat, wie es in dieser Phantasiearbeit entwickelt wird, die „Wiederentdeckung“ des Kindes im Erwachsenen besorgt; er hat den Traum der Wiederherstellung von „Naivität und Lebensfreude“ der Kindheit geträumt. Phantasie ist also grundlegend Verweigerung der Anpassung; ist die Abweichung vom geraden Weg: ist erstmals das Nicht – Alltägliche, Nichtgelebte, sie ist die Negation des Bestehenden. Bei diesem Blick auf die Phantasie als Erkenntnismittel psychoanalytischer Wahrnehmung und menschlicher Selbsteinsicht wird deutlich, welch subversiver, umstürzender Charakter im Phantasiebegriff Freuds liegt. So ist auch zu verstehen, mit welcher Empörung und Aggressivität die Verwalter des bürokratischen Apparates der Psychoanalyse auf diese Bestimmung der Phantasie als Mittel der Befreiung reagiert haben und immer noch reagieren. Nichts scheint für diesen Anpassungs- und Reparaturbetrieb der Gesellschaft störender zu sein, als sich mit dem Wahrheitsgehalt von Phantasien zu befassen und den unumstößlichen Charakter der Phantasie als subversives Element wahrzunehmen, wahrhaben zu müssen.

 


 

Manfred Pohlen

Krieg und Frieden aus psychoanalytischer Sicht Hrsg. Passett und Modena (Piper 1983); wiederveröffentlicht in Serie Piper 1987

 

"Zu den Wurzeln von Gewalt" – ein psychoanalytischer Beitrag zur Genealogie der Gewalt der Familie und zur Genealogie des Faszinosums des Faschismus (1983) (S.132-198)


In diesem Sammelband bringt der Autor den essentiellen psychoanalytischen Beitrag zur Genealogie der Gewalt der Familie und zur Genealogie des Faszinosums des Faschismus. Es wird die Theorie verfolgt, dass der Nazismus als ungeheure Konvulsion in einer langen Tradition des abendländischen Diskurses vom Begehren steht, dass der Diskurs von gewalttätiger Überschreitung des gesunden Menschenverstandes, der Dialektik zwischen Exzess und Vernunft im Leben des Subjekts folgt und ein Aufbegehren gegen den Terror der Diktatur des Banalen, der Banalität eines vernünftigen Lebens und einer befriedeten Gesellschaft ist. Die Auflehnung des Menschen gegen die herrschenden Zwecke hat ihre Stimme in den Diskursen von Nietzsche und Freud über die Nachtseite des Lebens und bringt die Wahrheit des Begehrens ans Licht. Dieses Bedürfnis nach Transgression und Überschreitung der Selbstfesselung des Menschen unter der Diktatur einer trieb- und körperfeindlichen christlichen Moralisierung wird als Untergrund faschistischer Transgression entdeckt: einer politischen Religion des Blutopfers als Wiederkehr uralter Opferungsmythen im Exzess grenzenloser Gewalttätigkeit. Der psychologischen Struktur des Nazi-Faschismus wird mit Reich und Freud nachgegangen in der Analyse der tödlichen Zirkularität der biologischen Kernfamilie, der von ihr geleisteten Erziehungsdiktatur zur umfassenden Triebkontrolle, einer Erziehung zum Normopathen. Der deutsche Faschismus wird als besonderes Problem im Drang zur Grenzüberschreitung gesehen, weil er nicht nur in der deutschen Tradition einer nicht zu Ende gekommenen, sondern schon im Aufbruch zerschlagenen Revolution steht. Er steht in der verhängnisvollen deutschen Tradition einer religiös bestimmten Befreiungs- und Erlösungserwartung, einer chiliastischen Bewegung in der Erwartung des Tausendjährigen Reiches, dessen Ankunft der Führer (Hitler) als Erlöser und Befreier verbürgt. Die Blutorgie der Nazis wird als Konsequenz ihrer Blutreligion begriffen, die statt der Befreiung des Menschen aus knechtischer Abhängigkeit die Erlösung zur vollkommenen Blutreinheit des Ariers setzt.

    

 

 

PS: "Bestünde der Band 'Krieg und Frieden aus psychoanalytischer Sicht ...' nur aus dem zentralen Beitrag Manfred Pohlens 'Zu den Wurzeln von Gewalt', er wäre wichtig, allen Friedensbewegten als Pflichtlektüre empfohlen zu werden. Hier wird nicht ... die gegenseitige Friedfertigkeit beschworen, die Projektion auf die 'Herrschenden' eingeübt, auf erzwungene Zustände verwiesen, sondern nach dem Faszinosum von Gewalt und Faschismus gefragt ... Will sich die Psychoanalyse wieder als Konfliktpsychologie verstehen ..., muss sie sich stellen, das heißt verdrängte Wünsche anerkennen, in ihr Recht setzen und die Abwehr aufheben" (Rainer Appel, FAZ, im Vorwort von "Krieg und Frieden").

Und Susanne Heenen schreibt: "Gelungene Versuche, sich dieser Frage" (zu Krieg und Frieden) "zu nähern, haben meines Erachtens M. Pohlen (1983), H. Arendt (1951) und H. Marcuse (1955) unternommen.

 


 

Manfred Pohlen

Die Psychoanalyse auf der Couch

(hrsg. von Hans-Martin Lohmann, Qumran 1984).

Psychoanalyse als Mantik (S. 125-158)


Der Beitrag in diesem Sammelband stellt die Freudsche Psychoanalyse in die Tradition der antiken Kulte als Stätten subjektiver und kollektiver Geschichtsfindung. Der Freudsche Privat-Mythos wird als eine Selbsterzeugung der freudschen Geschichte dargestellt und die Psychoanalyse vergleichbar den antiken Kultstätten mantischer Verfahren. Psychoanalyse ist entsakralisierter Initiationsritus, ein säkularisierter Ort der Remythisierung des Subjekts; ein Ort des Wiederfindens seines Privatmythos, in eigener Autorenschaft, entgegen der banalen Ideologie von Selbstverwirklichung, dem Konzept einer Ich-AG und der Mystifikation vom wahren Selbst.

     

   

 

Manfred Pohlen

"Haß. Die Macht eines unerwünschten Gefühls", Hrsg. Renate Kahle, Heiner Menzner, Gerhard Vinnai, Rowohlt (1985)

„Die Vernichtung des Individuellen in einer 'befriedeten' Gesellschaft"(S. 238-285)

 

Der Beitrag in diesem Sammelband enthält einen Diskurs über die Pathologie der Normalität, die Domestikation der menschlichen Triebnatur in der Zurichtung des Subjekts zu einem homogenen Wesen als seiner letzten Deformation. Gewöhnliche psychoanalytische Praxis wird in diesem Diskurs als therapeutische Organisationsform der Homogenisierung erkannt und das psychoanalytische Familienmodell als Prototyp einer allgemeinen gesellschaftlichen Familialisierung aufgeklärt.

     

   

 

Manfred Pohlen und Margarethe Bautz-Holzherr

Eine andere Aufklärung: Das Freudsche Subjekt in der Analyse. Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main (1991); Wiederveröffentlichung suhrkamp taschenbuch wissenschaft 1547 (2001);


Vom wissenschaftlichen Standort der Psychoanalyse

Die andere Aufklärung“ ist der unumgängliche Versuch einer kulturwissenschaftlichen Standortbestimmung der Psychoanalyse. Eine andere Aufklärung führt einen Diskurs zur Grundlegung der Psychoanalyse als Aufklärungswissenschaft: der Aufklärung über die Irratio der Vernunft; gegen den Diskurs der Moderne von Habermas und anderen Rationalisten, vor allem aber auch in der Psychoanalyse selbst, die den Freudschen Diskurs über den Triebgrund des Humanum erledigt haben durch eine psychoanalytische Psychologie, ein bloßer Überbau rationalisierender Bemächtigung des Menschen. Auf diese eindimensionale Spur lebensweltlicher Erfahrung gebracht, reduziert sich Psychoanalyse auf eine formelhafte Begriffssprache, eine Als-Ob-Aufklärung, die anstelle des Bewusstmachens des Unbewussten die leere Rede psychoanalytischer Schablonen setzt. Der Diskurs verfolgt mit den Erkenntnismitteln der Psychoanalyse den Weg durch ihre eigene Geschichte, Theorie und Praxis, durch die Bildung ihrer Schulen und Bewegungen.

Diese Analyse ist auch eine andere Aufklärung über das emanzipatorische „Programm der Aufklärung“. Die Freudsche Psychoanalyse wird als unterirdische Schöpfungsgeschichte des Subjekts entgegen der oberirdischen Ordnung herrschender Rationalität wieder bewusst gemacht und zugleich der Mythos von Ödipus als Metaphysik der Psychoanalyse erhellt. Wie Nietzsche zielt die Psychoanalyse Freuds auf eine Wiedereinführung des verlorenen connaturalen Denkens und der Bedeutung des Leibes für die menschliche Lebenswelt.

Der Diskurs dieses Buches ist keine Schrift über Freud, keine Rückkehr zu Freud: es ist der Versuch, Freud mit Freud zu lesen und über Freud hinaus. Das Freudsche Subjekt wird mit den Erkenntnismitteln der Psychoanalyse zum Objekt der Analyse gemacht durch die Untersuchung des Freudschen Begehrens als konstitutiver Bedingung für die Konstruktion der Psychoanalyse und ihrer Bewegung.

 

Vom irrationalen Grund des Menschlichen:

ein Diskurs über unterirdische Ordnung

Der vergessene Triebgrund im Diskurs der Moderne wird durch die Reflexion auf die triebhafte Basis der ihn konstituierenden Begriffe von Selbstreflexion, Emanzipation und Kommunikation analysiert. Die vorgenommene psychoanalytische Archäologie der Grundbegriffe der Moderne führt die Legende vom Normal-Ich, die Magie der Selbstschöpfung und das Opfer des affektiven Lebens in der "Sprachgemeinschaft" vor Augen.

     

 

 

Die vorgelegte Analyse der Lesart der Moderne zeigt die Entstellung des Freudschen Textes bei Habermas, der in seinem lebensfernen, abstrakten Begriffsuniversum die Sprache des Triebes, des Körpers zum Verschwinden bringt, der den Grenzfall als „Normalfall“ repräsentiert. Die Freundsche Schöpfungsgeschichte erweist Naturgeschichte als Triebgeschichte des Gattungskörpers und die Naturgeschichte des Subjekts als Wiederholung der Naturgeschichte der Gattung. Der Ödipuskomplex wird als die Metaphysik der Psychoanalyse dargestellt, der durch seine Familialisierung von einem aufklärerischen Naturmythos zu einer Kleinbürgerkolportage verkommen ist und in der Ausrichtung der psychoanalytischen Arbeit auf ihn die Unterdrückung des Triebes unter das phallisch-genitale Primat besorgt. Von daher wird das Verhältnis der Maternellen Signifikanz zum Phallischen Signifikanten als Verschiebung und Ersetzung des Maternellen aufgedeckt und am Mythos von Theseus, Perseus und Athene exemplarisch aufgeklärt.

 

Vom okkulten Phänomen der Freudschen Übertragung

Die Untersuchung dieses okkulten Problems der Psychoanalyse, die Transzendierung der Autorität Freuds in der Übertragung seines Begehrens auf das Feld seiner Praxis und auf das Feld seiner Bewegung wird als Experiment der Selbstaufklärung der Psychoanalyse vorgeführt. Darin ist die als Übertragung wirkende Suggestion das okkulte Problem der Psychoanalyse, über dessen Aufklärung die Wirkmechanismen des auf Einsicht zielenden psychoanalytischen Prozesses bestimmt werden. Psychoanalyse erweist sich als rhetorische Diskursart, deren „Spieleinsatz“ auf Überreden und Überzeugen zum Zwecke der Übereinstimmung geht, die sich nach der Maßgabe (Einbildungskraft) des Analytikers bestimmt, der seinerseits den Maßregeln (Spielregeln) der rhetorischen Diskursart folgt. Die Aufklärung des psychoanalytischen Prozesses stellt das rhetorische Übereinstimmungsmoment zwischen Analytiker und Analysand ins Zentrum der als Übertragung wirkenden Suggestion.

Diese Übereinstimmungsmetapher Freuds rührt an das Grundphänomen menschlicher Kommunikation und wird in der Auseinandersetzung mit Grünbaums Tally-Argument zum Brennpunkt wissenschaftlicher Auseinandersetzung mit der den psychoanalytischen Prozess kennzeichnenden Suggestion gemacht. Freuds unaufgeklärte Hinterlassenschaft, das okkulte Problem der psychoanalytischen Bewegung, die als Übertragung wirkende Suggestion Freuds, kulminiert in der Mythisierung Freuds und dem Autoritarismus der Orthodoxie und ist der Grund des unaufgeklärten religiösen Problems der Psychoanalyse.


Descartes' Entstofflichung des Denkens und Freuds Gott Libido

Ein Nachtrag, ein psychohistorischer Exkurs zur Schöpfung der modernen Mentalität durch Descartes, klärt über die unbewussten Wurzeln der Moderne, auch über die modernisierte Psychoanalyse auf.

Die Genese der modernen Mentalität wird in dem abschließenden psychohistorischen Exkurs dessen Glanzstück nach meinem Dafürhalten die Analyse der Träume von Descartes dargestellt. Hier wird vor allem deutlich, wie das im Gefolge der Entstofflichung des Denkens und der Entseelung der Körperwelten auf den Plan getretene reflektive Bewusstsein so wie in der Licht- und Zahlenmetaphysik als Wiederkehr des Verdrängten zu begreifen ist. Pohlen/Bautz-Holzherr haben mit ihrem Buch demonstriert, welche Sprengkraft dem Diskurs Freuds heute immer noch inne wohnt, wenn man den Gegendiskurs der Moderne einschließlich der psychoanalytischen Orthodoxie wendet. Ihre andere Aufklärung als Rückbesinnung auf das vergessene Ursprungsdenken der Psychoanalyse, auf Freuds Gott Libido konvergiert mit der nachmodernen philosophischen Besinnung auf die vergessenen Grundlagen des Abendlandes: des Menschen Ort in einer gleichermaßen physischen und leibbezogenen Welt“.

(Rezension Ralph Sichler – Journal für Psychologie 1. Jahrgang, Heft 3 (1993)

 


 

Manfred Pohlen und Margarethe Bautz-Holzherr

Psychoanalyse – das Ende einer Deutungsmacht, Rowohlts Enzyklopädie, Rowohlt Taschenbuchverlag (1995).

 

Das Unternehmen Psychoanalyse hat nach einem Jahrhundert die Seele zu Ende analysiert.“ Nachdem sie den leeren Platz der religiösen Systeme usurpiert hat, ist die Psychoanalyse zu einem Rationalisierungsinstrument geworden für irrationale Sehnsüchte nach authentischem Leben und wahrem Selbst. Dieser Diskurs analysiert den universellen Deutungsanspruch der Psychoanalyse, untersucht die Macht des diagnostischen Blicks und führt all jene Mystifikationen der analytischen Praxis vor Augen, durch welche die Herrschaftsposition des Analytikers verschleiert wird. Neben der grundlegenden Machtanalytik über die Psychoanalyse enthält dieses Buch einen fundamentalen Exkurs über die Grundkategorien psychoanalytischen Wahrnehmens und Denkens und ist ein entscheidender Beitrag zu ihrer kritischen Selbstbegründung. Der immanenten Kritik folgen Entwürfe zu einer wissenschaftlich begründbaren Pragmatik, um jenseits der psychoanalytischen Konvention zu einer empirisch fundierten Therapeutik zu gelangen“.

     

   

 

Manfred Pohlen, Margarethe Bautz-Holzherr

Eine andere Psychodynamik – Psychotherapie als Programm zur Selbstbemächtigung des Subjekts. Verlag Hans Huber (2001)

 

Über die Einordnung der

Psychoanalyse in den Wissenschaftskorpus

Dieser Diskurs ist der erste grundlegende Entwurf zu einer innovativen klinischen Praxistheorie der Psychoanalyse und als Gegenstück zur „Anderen Aufklärung“ zu lesen, in der die Psychoanalyse als konsistente Aufklärungswissenschaft geklärt wird. Es ist ein „Lehrbuch“ im wörtlichen Sinne, kein Manual als psychotherapeutische Gebrauchsanweisung, es ist ein Buch zum Nachdenken über die Grundkategorien psychoanalytischen Denkens, Wahrnehmens und Handels, eine Reflexion über die Möglichkeiten klinischer Praxis als Aufklärung der unbewussten Motive krankhafter Selbstbewertung.

Die Frage danach, in welche Kategorie Psychoanalyse einzuordnen ist: wissenschaftlich, theologisch oder mythologisch, wird mit ihrer Einordnung ins Register der Rhetorik beantwortet. Das Programm einer anderen Psychodynamik handelt von den Potenzen und Möglichkeiten einer revitalisierten klinischen Tiefenpsychologie. Es ist als konsistente Praxistheorie im Marburger Psychotherapie-Programm gefasst und gibt Strukturmuster zur Aufklärung und Gestaltung des psychotherapeutischen Prozesses und zu dessen Transparenz.

Der Positivismusstreit, von den Sozialwissenschaften gelöst, wird für die Psychoanalyse und die psychotherapeutischen Wissenschaften geklärt und die Regularien positivistischer Wirklichkeitszurichtung, besonders in der Unterwerfung von Psychoanalyse und Psychotherapie unter die evidenzbasierte Medizin aufgedeckt.

 

     

Vom dialektischen Verständnis des Symptoms: eine produktive Krankheitslehre

Die Voraussetzungen, Bedingungen und Möglichkeiten für das Gelingen des Therapieprozesses werden im Grund in der zu gewinnenden Beidseitigkeit, Gleichrangigkeit einer horizontalen Kommunikation als Kriterium gelungener Technik gesehen.

Ein neues Krankheitsverständnis wird eingeführt von der produktiven Bedeutung der Symptome und eine neue Technik „korrigierender kognitiver Erfahrung“ durch eine positive Umdeutung der bisher negativ regressiven Bedeutung, in der Umwertung des bisherigen deprimierenden Wertesystems des Kranken in ein selbstschöpferisches Wertesystem als Bedingung eines entwicklungsförderlichen Prozesses. Dieser Umsturz wird als essentieller Wirkmechanismus von Veränderung erkannt, ist keine rationale Operation, sondern eine affektive Neuerfahrung der produktiven Möglichkeiten in der Lebensgeschichte eines Menschen, das Hoffnungspotential für seine noch ausstehende Geschichte. In der Handhabung einer ingeniösen Kompetenz des Therapeuten für die Wahrnehmung der verschütteten Möglichkeiten des Patienten, in diesem empathischen Vermögen scheint das Geheimnis einer fruchtbaren therapeutischen Beziehung zu liegen.

Im Umdeutungsprozess werden Symptome entgegen der gängigen Auffassung nicht mehr bloss als Zeichen eines Abwehrsystems, sondern als Zeichen entstellter Wunsch- und Bedürfnisinszenierung begriffen. Die Weltanschauung, die Ideologie des Therapeuten wird in den Mittelpunkt gestellt, sein Verständnis des Zusammenhangs von Krankheit und Gesellschaft als Grund und Motiv in der Zielsetzung des Helfenwollens erkannt und seine Parteinahme für das Begehren des Patienten gegen den gesellschaftlichen Auftrag zur Normalisierung als Bewährungsprobe für den Therapeuten verstanden.

 

Von den strukturierenden Bedingungen psychoanalytischer Arbeit

Ein umfassend ausgearbeitetes, psychoanalyseimmanentes Diagnostik- und Behandlungsinventar (als CD-Rom beiliegend) liefert einen strukturierenden Rahmen für den Entwurf der Therapie, die Führung des Therapieprozesses und für dessen Evaluation, jeweils bezogen auf die einzelnen Therapiefelder und Interventionsbereiche. Diesem neuartigen Therapieprogramm liegt ein therapietheoretisches und therapietechnisches Konzept zugrunde, das auch die gesellschaftlichen Bedingungen von Kranksein einschließt. Es basiert auf einer psychodynamischen Einflusstheorie, in deren Zentrum die bewusste Handhabung therapeutischer Einflussnahme steht: Unterstützung, Bestätigung, Anerkennung und Sinnbestimmung der Symptomatik resp. deren Umwertung in psychodynamischer Klärungsarbeit. Daraus lassen sich fallspezifische Interventionsstrategien ableiten, die entscheidend sind für die progressionsfördernde und regressionsvermeidende Ausrichtung der Therapie.

 

Psychodynamik des therapeutischen Raums, Demokratisierung der Klinik

Die Qualität und Wirksamkeit psychodynamischer Strukturierung des klinischen Raums liegt in der therapeutischen Gleichrangigkeit und Kompetenzhöhe, in der Souveränität der interpersonalen Beziehungen zwischen Arzt-Psychologe-Pflegehierachie, den sozio- und physiotherapeutischen Diensten: Enthierarchisierung und Demokratisierung klinischer Strukturen, die Überwindung unseliger Aufspaltung zwischen Hierarchien, die Aufklärung autoritärer Therapiekonzepte und Einführung von Modellen der Selbstbemächtigung des Patienten wie des Personals waren leitend für die Marburger psychotherapeutische Arbeit.

 

Konkretion der heimischen Arbeit

Umfassende Falldarstellungen geben Einblick in die Arbeitsweise des Programms, das empirisch überprüft wurde und schulenübergreifend anwendbar ist. Diese theoretische wie klinische Grundlegung einer wissenschaftlichen Psychodynamik ist als Modell einer psychoanalytischen Praxistheorie gedacht und so konzipiert, dass sie für die psychotherapeutische Praxis nachvollziehbar ist. Es geht nicht nur um den klinischen Raum im eigentlichen Sinne, seine elaborierte Durchstrukturierung der verschieden therapeutischen Vektoren, es geht auch um den Raum der psychotherapeutischen/psychologischen Alltagspraxis, die sich in einem solchen Modell von den vielfältigen Varianten des gesellschaftlichen Zusammenhangs, in der jede Praxis steht, zu bewähren hat. Im Gegensatz zur Verhaltenstherapie hat die gängige therapeutische psychoanalytische Praxis, die von den Pionieren experimentierender Psychoanalyse, wie z.B. Reich, Ferenczi, Groddeck und andere nicht weitergeführt und die Tradition aktiver psychoanalytischer Arbeit aufgegeben. Die klinische Psychoanalyse im engeren Sinne hat immer nur Psychoanalyse in der Klinik betrieben und nicht die Psychoanalyse der Klinik, des therapeutischen Raums in seiner psychodynamischen Vielfalt. Die Leerstelle hat die Verhaltenstherapie besetzt, aber ihre Nachfolge und Übernahme der experimentierenden Psychoanalyse nie kenntlich gemacht.

 


 

Manfred Pohlen

"Freuds Analyse“ – die Sitzungsprotokolle Ernst Blums von 1922 (Rowohlt Erstausgabe 2006, wiederveröffentlicht als paperback, rowohlts enzyklopädie 2008)

 

 

Freuds Analyse“ beruht auf einem spektakulären Nachlass: er enthält das einzige Protokoll einer (Lehr)-Analyse bei Sigmund Freud, dem Begründer der Psychoanalyse. Unmittelbar nach den Sitzungen im Jahr 1922 notierte Ernst Blum mit Zustimmung Freuds deren Verlauf. Von keinem anderen Analsanden Freuds ist ein vergleichbares Dokument überliefert. Die Aufzeichnungen Blums zeigen anschaulich, wie Freud bei seiner Arbeit vorgegangen ist. Noch nie gab es eine derart authentische Nahaufnahme der Freud’schen Praxis.

Der Autor berichtet über die Entstehung der Protokolle und die Lebensgeschichte ihres Verfassers Ernst Blum. Zugleich ordnet er die aus den Protokollen zu gewinnenden Erkenntnisse über Freuds Vorgehen in die Ideen- und Kulturgeschichte der Psychoanalyse ein. Ein einzigartiges Dokument Freudschen Denkens und Wirkens.

 

Der andere Freud

In diesem Diskurs tritt ein ganz anderer Freud auf: Es ist der jüdische Geist Freuds, der hier wieder auflebt, ohne den es die Psychoanalyse gar nicht gäbe; es ist nach Ernst Blum die jüdische Mentalität, alles in Frage zu stellen, auf dem Hintergrund mehrtausendjähriger Verfolgungsgeschichte. Und das Besondere der Beziehung zweier Juden in diesem analytischen Prozess ist, dass zwei Juden zu einer Verständigung miteinander kommen, zu denen Nicht-Juden ihrer Meinung nach nicht vordringen können. Es geht in "Freuds Analyse" gerade um den von den Analytikern verleugneten religiösen Untergrund Freuds, dieser beiden Juden, die in der Bewältigung des Moses-Problems die Lösung ihrer jüdischen Frage suchen.

Die Ernst Blums lebensbestimmende Pogromphobie wird im Kontext des herrschenden Antisemitismus gestellt, der als wesenskonstitutiv für das Christentum erkannt wird.

Das Schicksal des Analysanden Blum wird zu einem Anschauungsstück über die Probleme der Emigration, über Selbstbewahrung oder Selbstauslöschung durch Assimilation, einer Frage von souveräner Lösung dieses Schicksals.

 

Von der deutschen Frage des Juden

und der jüdischen Frage des Deutschen

Die Aufklärung dieses Buches hat drei Schwerpunkte, um den sich der Diskurs anordnet: Um Freud als Jude, um Freud und Blum mit ihrer jüdischen Frage, um den deutschen Faschismus und Antisemitismus und, von essentieller Bedeutung für die Theorie der Psychoanalyse: um Freuds geistige Führung des psychoanalytischen Prozesses.

Die Aufklärung der jüdischen Wurzeln der Psychoanalyse, Freuds Verankerung im Judentum, sein Dialog mit einem Juden, der mit der jüdischen Religion nichts anzufangen wusste, und sich im Gegensatz zu Freud der Assimilation auslieferte, aber unbewusst das jüdische Bibelstudium durch eine unerhörte, spirituell exegetische Tiefe der Freud Texte ersetzte: beider konträrer Lösung der jüdischen Frage in sehr verschiedenen Antworten im Rückgriff auf Moses. Das mosaische Problem, klärt auch über die Stellung des Judentums angesichts der faschistischen Frage der Deutschen auf. In diesem Kontext geht es auch um das unbewusste Fortleben des Nazismus in den deutschen Nachfolgegenerationen von Analytikern: Ihre Bemühung, die Freud‘sche Psychoanalyse nachträglich zu arisieren und den „jüdischen Unrat“ ihrer Triebtheorie auszutreiben – in unbewußter Wiederholung des antisemitischen Ungeistes ihrer Nazivorfahren.

 

Freud und Hitler, Psychoanalyse und Hitlerismus
Freuds Psychoanalyse ist ein Zwiegespräch mit Hitler, seine Arbeit über „Massenpsychologie und Ich-Analyse“, in der Gleichzeitigkeit von Hitlers Beschäftigung mit der Massenpsychologie Le Bons, zeigt Freud auf dem Platz der Aufklärung des Hitlerismus und Hitler auf dem Platz der massenpsychologischen Suggestion zur totalitären Formierung der Gesellschaft mit ihrem nihilistischen Ziel der Ausrottung des Anderen Menschen, des Juden. Diese innere Beziehung von Hitler und Freud, in ihrer dialektischen Verschränkung, situiert Psychoanalyse als Gegenentwurf zum Hitlerismus, als Widerspruch zum Totalitarismus schlechthin.

Und der großartige Wurf Freuds in der Klärung von der geistigen Führung der Psychoanalyse, seine Wiederholung der Führung Dantes durch Vergil in der göttlichen Komödie ist der Prototyp spiritueller Führung des Menschen: Dass der Dichter den Dichter führt. Dieser spirituelle Akt der Wegbegleitung bis zum Läuterungsberg in der Erhellung des Menschen, zeigt Freud auf dem Höhepunkt seiner kulturhistorischen Bedeutung: Als Mentor des Menschen für seine selbst zu schöpfende Geschichte, der Wiederholung der Renaissance-Idee von der Vervollkommnung des

    

 

 

 

Menschen im immerwährenden Entwurfscharakter seines Lebens auf dem Hintergrund Hitlerscher Auslöschung des schöpferischen Menschen, des menschlichen Schöpfergeistes.

Die Paperback Ausgabe von 2008 unterscheidet sich von der Erstausgabe 2006 durch eine Änderung in den Kapitelfolgen, in einigen Verschärfungen, Akzentuierungen von bestimmten Aussagen; vor allem durch eine vorangestellte grundlegende Einführung in die deutsche Faschismusfrage, besonders über das innere Verhältnis Freuds zu Hitler bzw. der Psychoanalyse zum Hitlerismus.

 


 

Manfred Pohlen

in Sigmund Freud heute ,

Hrsg: Leitner und Petzold (Verlag Krammer, Wien 2009)

"Von der Einflussmacht des Analytikers und der Wahrheit seiner Methode" (S. 533-583)


 

Der Beitrag des Autors in diesem Sammelband ist von essentieller Bedeutung für die wissenschaftliche und klinische Stellung der Psychoanalyse Sigmund Freuds in Konfrontation mit den üblichen Freud-Bashing Arbeiten und der Banalisierung und Normalisierung des Freudschen Denkens und Handelns in der Alltagsliteratur der veröffentlichten Psychoanalyse.

Der Diskurs enthält die wesentlichen Aussagen der entwickelten kritischen Theorie der Psychoanalyse und einer empirisch begründeten klinischen Praxis mit ihren wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Implikationen.

Die vorgelegte Zusammenfassung gründet auf einem in Jahrzehnten entwickelten und erprobten Projekt innovativer psychoanalytischer Forschung und Praxis und ist der Niederschlag

    

der erfahrungsgesättigten psychoanalytischen Arbeit des Autors.

Dieser Beitrag kann beim Verlag Krammer (www.krammerbuch.at) kostenlos bezogen werden.

 

 

 

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